Fabriksarbeiter kennen die Auswirkungen der Digitalisierung längst. Jetzt macht sich die Automation auch in Akademiker-Berufen breit und verändert den Arbeitsalltag radikal.
4.11. 2016 Interview mit dem Der KURIER - warum die Digitalisierung Angst macht und was Chefs ändern sollten.
KURIER: Herr Boschert, viele Menschen fürchten, die Digitalisierung mache ihren Job überflüssig. Berechtigte Angst?
Friedhelm Boschert: Es ist nicht nur die Angst vor Jobverlust. Ich sehe vielmehr eine weit verbreitete Angst, mit der ungeheuren Geschwindigkeit, die die Digitalisierung bringt, nicht mehr mithalten zu können und den Arbeitsdruck nicht auszuhalten.
KURIER: Unternehmen nutzen die Digitalisierung zum Kostensparen. Diese Ängste werden wohl zunehmen ...
Friedhelm Boschert: Ja, aber nur wenn das cost cutting fantasielos gemacht wird. Chefs verstehen nicht, dass sie damit den Druck auf die Mitarbeiter erhöhen und die notwendige Kreativität im Unternehmen einschränken. Wer unter Angst arbeitet, kann nicht kreativ sein. Der hat einen Tunnelblick und resigniert.
KURIER: Chefs machen Fehler mit der Digitalisierung der Unternehmen?
Friedhelm Boschert: Ja, viele gehen in der falschen Art und Weise damit um. Ich hatte zum Beispiel den Fall eines Bosses eines großen deutschen Konzerns, der von den Mitarbeitern verlangte, alle eMails binnen 30 Minuten zu beantworten. Der wusste nicht, was er damit auslöste.
KURIER: Was hat er ausgelöst?
Friedhelm Boschert: Die Mitarbeiter schauten nur auf ihre Mails. Die andere Arbeit wurde dauernd gestört, unterbrochen und funktionierte nicht mehr. So macht man die Produktivitätsfortschritte, die Digitalisierung bringen kann, zunichte.
KURIER: Was wäre besser?
Friedhelm Boschert: Mitarbeiter versuchen natürlich mit Zeitmanagement, das Ganze in den Griff zu bekommen. Aber die Umwälzungen in der Arbeitswelt sind derart groß, dass diese bewährten Rezepte wie bessere Zeiteinteilung nicht mehr nutzen. Wir müssen zum einen lernen, manche Dinge nicht zu erledigen, zu delegieren und uns zum Beispiel von den Mails nicht unterbrechen zu lassen. Der Konzern etwa hat Zeiten eingeführt, in denen Mails beantwortet werden, zwei Mal am Tag eine halbe Stunde.
KURIER: Meist passiert das Gegenteil: dauernde Unterbrechung durch Telefon, Mail, Twitter oder Facebook. Müssen wir nicht eher lernen, damit umzugehen?
Friedhelm Boschert: Diese Ablenkung ist das Übel unserer Zeit. Multitasking ist nämlich eine Illusion. Unser Gehirn ist dafür nicht geschaffen. Wir machen die Dinge nicht gleichzeitig, sondern hüpfen hin und her. Das kostet Energie, macht müde und fehleranfällig. Wir können nur eins nach dem anderen machen. Das müssen wir wieder lernen.
KURIER: Digitalisierung nimmt uns viele Tätigkeiten weg – manuelle, aber auch geistige, wie Daten sammeln und aufbereiten. Was bleibt für den Menschen noch?
Friedhelm Boschert: In der digitalen Welt brauchen wir ein hoch sensibles emotionales Verständnis. Wenn ein Bankberater, der mit Kunden nur digital Kontakt hat, einen Kunden wirklich trifft, muss er rasch erkennen, was diesen Menschen bewegt, wie es ihm geht.
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